Zoologie

Wie alt werden Wale?

Lebensdauer einiger Arten könnte bisherige Schätzungen deutlich übertreffen

Südkaper
Südkaper können über 130 Jahre alt werden. © Craig Dearle/ iStock

Methusalems der Meere: Wale können deutlich älter werden als bislang angenommen, wie Forschende nun herausgefunden haben. So können 15 Meter lange Südkaper zum Beispiel ein Alter von über 130 Jahren erreichen – mindestens 50 Jahre mehr als zuvor geschätzt. Doch in einigen Regionen können Wale diese hohe Lebenserwartung aufgrund menschengemachter Gefahren nicht einmal annähernd ausschöpfen.

Die Körpergröße eines Tieres korreliert in hohem Maße mit seiner Lebenserwartung. So können Elefanten zum Beispiel bis zu 80 Jahre alt werden, während Mäuse im Schnitt nur zwei bis drei Jahre leben. Das legt nahe, dass Wale – die größten Tiere des Planeten – extrem alt werden können, doch die meisten Schätzungen sind diesbezüglich überraschend pessimistisch. Sie schreiben den gigantischen Meeressäugern häufig „nur“ ein maximales Alter von 70 bis 90 Jahren zu. Doch kann das wirklich stimmen?

Lebensdauer ist schwer zu schätzen

Tatsächlich ist es gar nicht so leicht, die Lebenserwartung großer Walarten zu bestimmen. Unter anderem lässt sich das Alter eines Wales nur unmittelbar nach dessen Tod ermitteln. Die meisten verfügbaren Altersdaten stammen daher aus der Zeit des industriellen Walfangs – als die Populationen am stärksten gestört und viele große, alte Individuen längst Walfängern zum Opfer gefallen waren.

Die Ära des Walfangs erschwert es sogar bis heute, die Lebenserwartung von Walen genau zu ermitteln. Da die industrielle Jagd für die meisten Walarten erst vor 60 Jahren offiziell verboten wurde, sind extrem alte Individuen heute selten. Alle Wale, die heute über 100 Jahre alt sind, hätten schließlich mindestens 40 Jahre intensiven Walfangs überleben müssen – über 150 Jahre alte Tiere sogar 90 Jahre.

Doch zu wissen, wie alt die verschiedenen Walarten werden können, ist für deren Erhaltung immens wichtig. Denn die Lebenserwartung bestimmt ihren Lebenszyklus und auch, wie viele Kälber eine Walkuh in ihrem Leben zur Welt bringen kann.

Überlebenskurven für mehr Klarheit

Forschende um Greg Breed von der University of Alaska haben daher nun einen neuen Ansatz gewählt, um die Lebenserwartung zweier großer Walarten zu bestimmen: des Atlantischen Nordkapers (Eubalaena glacialis) und des Südkapers (Eubalaena australis). Beide werden durchschnittlich 15 Meter lang und 50 bis 56 Tonnen schwer. Ihr Aussehen ist durch einen riesigen Kopf mit massigem Unterkiefer geprägt, der ein Viertel ihrer Körperlänge ausmacht. Ihre derzeit angenommene maximale Lebensdauer beträgt 70 bis 75 Jahre.

Um herauszufinden, welches Alter diese Giganten der Meere theoretisch erreichen können, analysierten Breed und sein Team Fotos einzelner weiblicher Wale, die über mehrere Jahrzehnte hinweg aufgenommen wurden. Starben die Tiere, tauchten sie dementsprechend auch nicht mehr auf Fotos auf. Indem die Forschenden die Wahrscheinlichkeit ermittelten, mit der Wale mit zunehmendem Alter aus den Fotografien verschwanden, erstellten sie sogenannte „Überlebenskurven“ und schätzten damit die maximale potenzielle Lebensspanne beider Walarten ab.

Lebenserwartung 50 Jahre höher als gedacht

Die Analyse ergab: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mittlere Lebensdauer von Südkapern bei etwa 74 Jahren liegt und mehr als zehn Prozent über 130 Jahre alt werden“, berichten Breed und sein Team. Damit übersteigen die Tiere die derzeitige Schätzung ihrer Lebenserwartung um mindestens 50 Jahre. Manche Südkaper könnten sogar bis zu 150 Jahre alt werden, wie die Forschenden vermuten.

Deutlich schlechter sieht es hingegen bei den Atlantischen Nordkapern aus. Diese führen den Überlebenskurven zufolge ein eher kurzes Leben von durchschnittlich 22 Jahren. Nur ein kleiner Teil wird über 45 Jahre alt. Da die beiden Arten so eng miteinander verwandt sind, dass man sie einst derselben Spezies zuordnete, schließen Breed und seine Kollegen allerdings biologische Ursachen für diese Diskrepanz aus.

Vielmehr scheint es die in ihrem nördlichen Lebensraum deutlich stärker ausgeprägte menschliche Aktivität zu sein, die Atlantische Nordkaper verfrüht sterben lässt. Sie verfangen sich zum Beispiel in Fischernetzen oder kollidieren mit Schiffen. Das führt dazu, dass die Tiere im Alter von fünf Jahren eine Sterbewahrscheinlichkeit von 2,56 Prozent aufweisen, bei Südkapern desselben Alters liegt diese dagegen bei nur 0,5 Prozent.

Sind noch mehr Wale Methusalems?

Die neuen Erkenntnisse deuten nun daraufhin, dass auch das Alter anderer Großwale bislang unterschätzt wurde. Zwar gibt es einzelne Berichte von extrem alten Walen, doch diese wurden bislang eher als Ausreißer gedeutet. Dazu gehört zum Beispiel die Beobachtung eines Finnwals in Norwegen, der mindestens 120 Jahre und vielleicht sogar 140 Jahre alt wurde, und die eines 114 Jahre alten Narwals bei Grönland.

Den aktuellen Altersrekord im Reich der Meeressäuger hält allerdings der Grönlandwal. Im Blubber eines 2007 bei indigener Jagd erlegten Tieres entdeckten die Jäger mehrere Harpunenspitzen, die zuletzt in den 1880er Jahren verwendet wurden. Das legt eine Lebensdauer von mindestens 130 Jahren nahe. Die Untersuchung der Augenlinse eines anderen, auf natürliche Weise gestorbenen Tieres dieser Art ergab sogar ein Alter von 211 Jahren.

Energiesparend bis ins hohe Alter

Doch warum werden Wale überhaupt so alt? Einerseits können ausgewachsene Tiere sehr flexibel auf wechselnde Nahrungsangebote reagieren. In Jahren mit viel verfügbarer Nahrung können sie übermäßig viel fressen und die dabei aufgenommene Energie über Monate oder sogar Jahre hinweg in ihrem Körper speichern, wie Breed und sein Team erklären. Andererseits sorgt die enorme Größe einiger Wale auch für sehr niedrige Stoffwechselraten, wodurch die Tiere wiederum große Energiemengen speichern und sehr sparsam mit diesen Vorräten umgehen können.

„Außerdem beschränkt sich die Zahl der potenziellen Räuber im Wesentlichen auf Orcas. Erwachsene Großwale können sogar zu groß für Orcas sein, und die Sterblichkeit durch Räuber ist bei erwachsenen Tieren wahrscheinlich nahezu gleich Null“, erklären die Forschenden. (Science Advances; 2024, doi: 10.1126/sciadv.adq3086)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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